„Energiewende, steigender Verbrauch, Klimawandel, und der liberalisierte Strommarkt stellen neben bewusster Manipulation in Form von Cyberattacken ernstzunehmende Gefahren dar“, so eine These in dem Dokumentarfilm des Peppo Wagner aus 2018.
„Wir diskutieren in Europa viel über Märkte und den Klimaschutz, aber wenig über Versorgungssicherheit“, erklärte kürzlich erst der Präsident von Österreichs Energie, Michael Strugl.
Und beide Feststellungen hätte Dr. Franz Hein , vor 20 Jahren Mitgründer und heute immer noch engagiertes Ehrenmitglied des EDNA Bundesverbandes e.V. , nicht besser ausdrücken können. Schließlich gelten auch im liberalisierten Strommarkt immer noch die Gesetze der Physik, so seine wiederholte Warnung. Und nach denen müssen sich Kraftwerks- und Netzbetreiber genauso wie auch die Stromhändler richten.
Kritische Infrastrukturen
(Strom-) „Versorgungsnetze gehören neben beispielsweise der Informationstechnik und Telekommunikation, dem Transport und Verkehr oder dem Gesundheitswesen zu den kritischen Infrastrukturen, welche die Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen. Sie sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar.“ Dies sind die einleitenden Sätze einer Studie über das, „Was bei einem Blackout geschieht“; veröffentlicht im Jahre 2011 unter Leitung von Dr. Thomas Petermann, damals stellvertretender Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.
Langandauernder und großräumiger Stromausfall
Die Studie untersuchte die „Folgen eines langandauernden und großräumigen Stromausfalls“. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass „die Wahrscheinlichkeit eines langandauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls gering sein mag, … die Folgenanalysen [aber] gezeigt haben, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden. Damit verlöre er auch eine seiner wichtigsten Ressourcen – das Vertrauen seiner Bürger.“
Die Stromkrise am 8. Januar 2021
Einen – möglicherweise grenzüberschreitenden – Blackout verhinderten europäische Übertragungsnetzbetreiber am 8. Januar 2021, als sie unter Notfallbedingungen auf den Ausfall eines Umspannwerkes in Kroatien reagierten. Dabei wurde das Synchrongebiet Kontinentaleuropas in zwei getrennte Netzregionen aufgeteilt, so die Einleitung eines vorläufigen Berichts der ENTSO-E vom selben Tag . Eine umfassende Analyse veröffentlichte der Verband am 26. Januar 2021. Den verarbeitete die FAZ im oben bereits erwähnten Bericht und stellt darin fest, dass „ein Stromüberangebot dazu (führte), dass ein Schutzmechanismus Teile der kroatischen Anlage abschaltete. Die Stromflüsse im Nordwesten und Südosten des Umspannwerks wurden getrennt. … Es dauerte weitere 20 Sekunden, bis Europas Stromnetz zweigeteilt war. Die Trennlinie verlief südöstlich von Österreich und Ungarn durch Kroatien, Serbien und Rumänien bis an die [Grenze zur] Ukraine.“
Der weiterhin bestehende Stromüberschuss in Südosteuropa konnte jetzt nicht mehr exportiert werden und führte zu einem Anstieg der Netznormfrequenz (50 Hertz) um 600 Millihertz. In der der nordwestlichen Zone entstand dagegen ein Strommangel bei dem die Normfrequenz um bis zu 300 Millihertz unterschritten wurde. „Abschaltungen großer Verbraucher, etwa in Frankreich, waren die Folge. In Betrieben reagierten Maschinen auf die Schwankung. Hektisch mobilisierten Netzbetreiber Reserven“, so die FAZ in dem bereits erwähnten Artikel.
Insgesamt dauerte es eine Stunde, bis das Netz dank Einsatz von Kraftwerken und Abschaltung von Großkunden wieder synchronisiert und die Trennung aufgehoben wurde.
Ende gut, alles gut? Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) zeigte sich nach dieser Störung alarmiert. Der Vorfall müsse allen eine Warnung sein, so dessen Geschäftsführer Christian Seyfert. „Deutschland kann nicht davon ausgehen, dass wir schon irgendwie aus dem europäischen Ausland versorgt werden, sollte es bei uns nicht ausreichend Strom geben.“
Schneechaos und Blackout 2005
Nicht ausreichend war die Stromversorgung zum Beispiel im Winter 2005. Am ersten Adventswochenende brach damals im Münsterland das „Schneechaos“ aus und die Stromversorgung war teilweise bis zu fünf Tage unterbrochen. Alles begann mit dem Zusammenspiel von starkem Wind und nassem Schnee. Beides führte zum Vereisen von Stromleitungen mit einer manchmal mehrere Zentimeter dicken Eisschicht. Vereiste Stromleitungen und der Sturm ließen Hochspannungsmasten zusammenbrechen. Vom Stromausfall betroffen waren rund 250.000 Menschen in 25 Gemeinden.
Und Strom wird wohl immer mal wieder Mangelware werden, was nicht nur lokale Störungen wie jüngst am 17. November 2020 in Frankfurt zur Folge hätte. Als Petermann und Kollegen die TAB-Studie vorlegten, war Fukushima gerade in aller Munde und die Abschaltung aller deutschen Kernkraftwerke bis 2022 bald beschlossene Sache. Damals noch gar nicht absehbar war der in 2019 herbeigeführte Beschluss der Abschaltung aller deutschen Kohlekraftwerke bis 2038.
Blackout in der Belletristik
Auch Cyber-Angriffe auf kritische Infrastrukturen gehörten damals noch nicht zum Alltag. Diese und andere IT-Angriffe thematisierte aber Marc Elsberg schon 2012 in seinem Roman „Blackout“. Kenntnisreich beschreibt er den technischen der Stromversorgung. Alles beginnt mit Manipulationen an sogenannten intelligenten Messsystemen / Stromzählern, einem Terrorangriff mithilfe von Schadcode, der über eine „Backdoor-Software“ auch Kraftwerke, Leitstellen und SCADA-Systeme befällt.
Beschrieben wird auch der schon bald nach dem Beginn des Stromausfalls einsetzende gesellschaftliche und zivilisatorische Zusammenbruch. In der Bevölkerung werden die Nahrungs- und Brennstoffvorräte knapp, Menschen beginnen, Vorräte zu horten. Bargeld wird zum ultimativen Zahlungsmittel und Bankfilialen werden gestürmt. Krankenhäuser müssen ihre Dienste einstellen, da die Kraftstoff- und Medikamentenvorräte aufgebraucht sind. In Spanien, so Elsberg, hat sich das Militär an die Macht geputscht. Gewalt und Schwarzmärkte bestimmen den Alltag.
Diese düsteren Szenarien sind noch Fiktion, die vor Marc Elsberg schon im Jahre 2010 der Autor Peter Schwindt in seinem Roman „Schwarzfall“ beschrieb. Gegenüber Elsbergs Fiktion wird im „Schwarzfall“ nur ein regionaler Stromausfall – im Raum Frankfurt – beschrieben. Doch auch hier sind es unter anderem steckenbleibende Aufzüge, die versagende Notstromversorgung in einem Krankenhaus und geschlossene Supermärkte, die unsere Zivilisation kollabieren lassen. Es entsteht eine bewaffnete Nachbarschaftshilfe zur Verteidigung eines Wohngebiets, Geldautomaten werden aufgebrochen und Einkaufszentren werden das Ziel von Plünderungen.
Blackout und Notfallszenarien
Sind die Notfallszenarien in den beiden Romanen reine Fiktion? Nein! Die bereits erwähnte Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag aus dem Jahre 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass „im Zuge eines viele Tage oder Wochen dauernden Stromausfalls … der Prozess der Zivilisierung „rückwärts läuft“ (Dombrowsky et al. 2009, S. 257). Manche Individuen und Gruppen werden rücksichtsloser, aggressiver und gewaltbereiter, fallen also in diesem Sinn hinter die etablierten Normen gesellschaftlicher Interaktion zurück.“
In Folge eines längerdauernden Stromausfalls ist „man … ab dem nächsten
Moment auf einfache, archaische und leibnahe Formen des Alltagsvollzuges angewiesen.“ Dabei kommen „die sozialen Folgen eines Stromausfalls … einem „Kulturausfall“ gleich: Traditionell eingeübte Erlebens- und Verhaltensmuster sind infrage gestellt; bisherige Ordnungsprinzipien strukturieren und orientieren nicht mehr.“
Ein Fazit der Studie: „Die gewohnte Strukturierung des Alltags beizubehalten ist ohne Strom nur schwer möglich. … (Denn) die angesprochenen Prozesse der Entgrenzung intensivieren sich im Zuge der Entfaltung der Katastrophe über die Zeit: Zu Beginn ist ein Stromausfall allenfalls lästig, unbequem, für manche vielleicht beunruhigend, für andere unterhaltsam und wohltuend irritierend. Dann aber beginnt die öffentliche Ordnung zusammenzubrechen.“
Vor diesem Hintergrund gaben die Verfasser der Studie ihrem Auftraggeber, dem Deutschen Bundestag, schon im Jahre 2011 eine – wie ich finde heute noch gültige – Empfehlung: „Der Stromausfall als ein Paradebeispiel für „kaskadierende Schadenswirkungen“ sollte auf der Agenda der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft weiterhin hohe Priorität haben, auch um die Sensibilität für diese Thematik in Wirtschaft und Bevölkerung zu erhöhen.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen!
Quellen:
– Zitiert aus http://www.pwfilm.at/wordpresspw/wp-content/uploads/StromAusPressedossierV01_Web-4.pdf (Download am 30.1.2021)
– FAZ, Chronologie eines Fast-Blackouts, 28.1.2021
– Siehe https://www.saurugg.net/ueber-mich/netzwerk/franz-hein (Download am 30.1.2021)
– Siehe https://edna-bundesverband.de/
– Was bei einem Blackout geschieht, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Petermann u.a., Berlin 2011
– ENTSO-E, System split registered in the synchronous area of Continental Europe – Incident now resolved, 8.1.2021, https://www.entsoe.eu/news/2021/01/08/system-split-registered-in-the-synchronous-area-of-continental-europe-incident-now-resolved/ (Download am 30.1.2021)
– ENTSO-E, System separation in the Continental Europe Synchronous Area on 8 January 2021 – 2nd update, https://www.entsoe.eu/news/2021/01/26/system-separation-in-the-continental-europe-synchronous-area-on-8-january-2021-2nd-update/ (Download am 30.1.2021)
– FAZ, Chronologie eines Fast-Blackouts, 28.1.2021
– Energate Messenger, Störung im europäischen Stromnetz, 11.1.2021, https://www.energate-messenger.de/news/208710/stoerung-im-europaeischen-stromnetz (Download am 30.1.2021)
– Siehe DWD-Bericht https://www.dwd.de/DE/leistungen/klimastatusbericht/publikationen/ksb2005_pdf/15_2005.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Download am 30.1.2021)
-Was bei einem Blackout geschieht, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Petermann u.a., Berlin 2011
Naturgesetze werden (politisch und/oder ideologisch motiviert) inzwischen „novelliert“!
Wir diskutieren nicht mehr über Versorgungssicherheit, sondern betrachten sie als pure Selbstverständlichkeit. Dass der Strom immer aus der Steckdose kommt, wenn wir ihn brauchen, wird inzwischen wie ein Gewohnheitsrecht gesehen. Und Selbstverständlichkeiten wird auch kein Wert mehr zugemessen. Wie wichtig eine permanent verfügbare Stromversorgung ist, werden wir erst dann Gewahr werden, wenn sie flächendeckend und längere Zeit ausfällt. Selbst so eine gravierende Störung, wie die am 8.1.2021, die fast zu einem europaweiten Blackout hätte führen können, kümmert nur wenige Menschen. Längst werden Naturgesetze schlicht ignoriert. Eine EU-Festlegung zum Freihalten von Transportkapazitäten für den Stromhandel an den Kuppelstellen von Stromnetzen ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Damit „novelliert“ die Politik das Kirchhoffsche Gesetz. Das wurde allerdings in Deutschland mit dem Vorrang für „erneuerbaren“ Strom auch schon ad absurdum geführt. Braucht es zum Umdenken erst eine Katastrophe? Wir können die Natur nur beherrschen, wenn wir ihr gehorchen. Dazu müssen wir die Wirklichkeit wieder wahrnehmen (lernen).