Solange der Strom nur aus der Steckdose kam, war unsere Welt noch in Ordnung. GPKE, MaBiS und selbst die Mako2020 funktionierten, selbst wenn manch einer auch ohne dieses Regelwerk ausgekommen wäre. Und auch noch, als die Steckdose als Ladestation für die Elektromobilität betrieben wurde und deren Betreiber damit ein Letztverbraucher war, schienen Stromlieferanten, Ladestationsbetreiber und (mobile) Stromverbraucher in einem gut funktionierenden Regelwerk vereint. Nun droht aber Ungemach, denn an den Ladesäulen könnte künftig auch ein Bilanzkreiswechsel notwendig werden.

Zwar kann ich an der Ladesäule in A-Stadt nicht den Strom meines Lieferanten aus B-Stadt beziehen, aber genauso wenig konnte ich an einer Shell-Tanke früher den Sprit von Aral beziehen. Das soll sich jetzt aber ändern, denn die Verbraucherschützer vermuten hier Schindluder. Anders gesagt: An der Ladesäule in A-Stadt möchte ich den Strom meines Lieferanten aus B-Stadt beziehen. Geht nicht? Das ist doch diskriminierend! Und ganz schlimm wird es, wenn ich nicht zu den Preisen meines Lieferanten aus B-Stadt abgerechnet werde.

Anwendungsfälle untersucht

In Forschungsprojekten schon mal untersucht wurden deshalb auch verschiedene Anwendungsfälle, in denen Stromlieferant und Ladestationsbetreiber nur noch eine zufällige Beziehung zu einander haben.

So richtig einen Schuh daraus machen will jetzt aber die BNetzA. Die hat mit der Festlegung BK6-20-160 (siehe https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funktionen/Beschlusskammern/1_GZ/BK6-GZ/2020/BK6-20-160/BK6-20-160_eroeffnung_festlegungsverfahren.html) ein Konsultationsverfahren eröffnet, in dem  unter anderem „die Festlegung eines Netznutzungsvertrages Elektromobilität (vorgesehen ist), der an Ladepunkten künftig die technische Möglichkeit eines bilanziellen Lieferantenwechsels schaffen soll.“

Bilanzkreiswechsel an der Ladesäule?

Der hier so schlicht als „technische Möglichkeit“ bezeichnete Prozess „eines bilanziellen Lieferantenwechsels“ hat unmittelbare Auswirkung auf den Ladestations- bzw. seinen Backendbetreiber.

Um nachzuvollziehen, was ein Lieferantenwechselprozess an der Ladesäule – konkret: am jeweiligen Ladepunkt – bedeutet, muss man zunächst mal das derzeitig gültige Verfahren betrachten. Der Strombezug einer Ladesäule steht gemäß § 3 Ziff. 25 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) einem Letztverbrauch gleich. Damit ist der Betreiber einer Ladesäule als Letztverbraucher im Sinne des EnWG anzusehen. Der Betreiber kann daher auch den Stromlieferanten der Ladesäule grundsätzlich frei wählen (und muss seinen Nutzern nicht die bilanzielle Zuordnung der Strommengen zu deren jeweiligen Lieferanten ermöglichen, wie es die Konsultation der BNetzA jetzt nahelegt).

Abweichend davon definiert allerdings das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2017 (EEG) den Letztverbraucher in § 3 Ziff. 33 als „jede natürliche oder juristische Person, die Strom verbraucht“. Damit ist im Sinne des EEG nicht die Ladesäule bzw. deren Betreiber der Letztverbraucher, sondern vielmehr der Halter des dort ladenden Elektroautos. Sofern auch Elektrofahrzeuge von Dritten an der Ladesäule eines Betreibers geladen werden, dürfte der Betreiber als Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Ziff. 20 EEG 2017 zu qualifizieren sein, das Elektrizität an Dritte liefert. Diese Regelung wird derzeit verwendet, um die EEG-Entgelte im Strompreis der jeweiligen Ladeentgelte erheben, nachweisen und abführen zu können.

Findet die Definition des EEG allerdings auch im EnWG Anwendung, wären nach unmaßgeblicher Meinung dieses Blog-Autors Lieferantenwechselprozesse und damit der Bilanzkreiswechsel auch an der Säule möglich. Und würden viele Ladestationsbetreiber im Übrigen erstmalig mit den Prozessen des Energiemarktes in Berührung bringen! Denn nicht jeder Ladesäulenbetreiber ist auch ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen, das sich bekanntlich seit der Strommarktliberalisierung in 1998 bereits mit Lieferantenwechselprozessen auskennt.

(Nicht) ganz zu schweigen übrigens von den Kosten, die dieser Rollenwechsel und die damit verbundenen Prozesse nach sich zögen. Höhere Kosten und spezifisch deutsche Prozesse können aber nicht im Sinne derjenigen sein, die in 2017 Deutschland als „Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität“ ausriefen. Dieses Ziel sollten wir nicht aufgeben und schon gar nicht uns selbst dabei im Wege stehen, es doch noch möglichst bald zu erreichen.