Jede (Weiter-) Entwicklung des Strommarktes erfordert auch eine Anpassung oder Neugestaltung der begleitenden Regulierung. Zu beobachten sind die fortschreitende Dezentralisierung, der weitere Einsatz der Digitalisierung (Blockchain) und auch neue Marktteilnehmer (z.B. stationäre und auch mobile Speicher (Elektromobilität)). Dabei sollte Regulierung nicht als Selbstzweck wirken. Umzusetzen ist vielmehr auch ein (prozess-) kostensenkender Weg, vielleicht ein ganz neues – nämlich effizienteres – Marktmodell.

Schon mit Eröffnung der „Sektoruntersuchung im Bereich öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge“ des Bundeskartellamts im Juli 2020[1] war die Absicht klar: Gefordert wird „mehr Wettbewerb beim Ladestrom für E-Autos“.[2] Gleichlautend positioniert sich auch beispielsweise die LichtBlick SE. Deren „Ladesäulen-Check“[3] sieht mangelnden Wettbewerb und zu hohe Preise als wesentliches Ärgernis für die Nutzer von Ladestationen (in Deutschland). Das Unternehmen drängt deshalb auf eine Marktreform.

Eine Marktreform rund um den Betrieb von Ladestationen ist wohl auch die Absicht des im Dezember 2020 von der Bundesnetzagentur (BNetzA) eingeleiteten Verfahrens BK6-20-160[4]. Damit ermöglicht werden soll, spätestens ab dem 01.06.2021, auf Verlangen eines Betreibers von Ladepunkten für Elektromobile, der (Strom-) Netzzugang mit einer „ladevorgangscharfen bilanziellen Energiemengenzuordnung“.[5]

Allerdings sollen besagte Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen erst bis zum 31.12.2021 Vorschläge „für die nähere Ausgestaltung der prozessualen Abwicklung sowie für die vertragliche Ausgestaltung … erarbeiten“[6] und der BNetzA vorlegen.

Doch die LichtBlick SE will noch mehr und geht einen Schritt weiter. Sie „begehrt den Zugang zur Ladeinfrastruktur selbst.“[7]

Nach der für öffentliche Ladestationen – erst seit 2019 – verpflichtenden Anwendung des Eichrechts auf die verbaute Messtechnik und den damit verbundenen Abrechnungsprozess, Einführung der Vor-Ort-Bezahloption und der ab 2021 geltenden Pflicht zur Verwendung intelligenter Messsysteme erfolgt mit der nun anzuwendenden ladevorgangscharfen bilanziellen Energiemengenzuordnung eine weiterer – und wie der Autor des vorliegenden Textes meint, zusätzlich kostentreibender – Eingriff in diesen sich immer noch entwickelnden Markt.

Im Kern geht es aber wohl auch in dem nun vorliegenden Beispiel energiewirtschaftlicher Regulierung – wie schon seit 1998 – einfach nur um mehr Wettbewerb in der Stromwirtschaft. Und tatsächlich, da geht noch was!

Schließlich ist die Ladeinfrastruktur nur ein (weiteres) Beispiel für die Möglichkeit, seinen Stromlieferanten so freizügig zu wählen wie es für den heimischen Stromverbrauch inzwischen üblich ist.

Bleiben wir deshalb einfach mal bei der Ladeinfrastruktur für Elektromobile: Technisch möglich und aus Sicht der Stromnetzbetreiber (zukünftig) wünschenswert, wenn nicht gar nicht nötig, ist die (netzdienliche) Rückspeisung aus geladenen Fahrzeugbatterien ins Netz; seit über 10 Jahren sprechen wir bereits von Vehicle-to-Grid (V2G) Prozessen.[8]

Und auch eine marktdienliche Rückspeisung[9] mag sich ergeben, wenn ganze Fahrzeugflotten ihre Bordakkus als Flexibilitätsoption zur Verfügung stellen. Das erproben seit Herbst 2020 u.a. Fiat Chrysler Automobiles (FCA), der Technologiekonzern Engie Eps und der italienische Stromnetzbetreiber Terna. In Turin wurde ein Pilotprojekt zur Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) eingeweiht, das nach Fertigstellung das größte seiner Art weltweit sein wird. Erforscht und getestet werden die Interaktion zwischen Elektroautos und dem öffentlichen Stromnetz erforscht. [10]

Doch was die Physik hergibt, muss für die Stromwirtschaft zunächst mal organisiert – und das heißt, reguliert werden. Folgende Anwendungsfälle – und begleitender Regulierungsbedarf) sind dabei vorstellbar (und werden in verschiedenen Pilotprojekten[11] in Europa schon erprobt):

  • Die großflächige Entladung der Bordakkus bedarf (neben der Mess- und Interaktionstechnik) geeigneter Rollen-, Prozess- und Kommunikationsmodelle; werden die MPES [12]angepasst oder entwickeln wir ganz neue Regelwerke?
  • Stationäre wie auch mobile Speicher brauchen einen Netzzugang; sind auch die mobilen Speicher (Bordakkus) deswegen im jeweiligen Netz entgeltpflichtig?
  • Mobile Speicher (Bordakkus) werden in einem Bilanzkreis befüllt und in einem anderen Bilanzkreis, ggf. sogar in einer anderen Regelzone, entladen; wie können die Bilanzkreise untereinander verrechnet werden?
  • Die dem mobilen Speicher (Bordakku) entnommenen Mengen oder Flexibilitäten sind zu vergüten; entstehen hier neue Abrechnungs- und Vergütungsprozesse?

Doch wie passen diese Anwendungsfälle und deren „Regulierungsbedarf“ zu den bereits bestehenden oder – siehe oben – gerade im Festlegungsverfahren befindlichen Regeln?!

Noch kann die BNetzA in ihrem diesjährigen „Bericht (über die) Regelungen zu Stromspeichern“[13] dazu keine Antworten liefern. Erklärt wird darin aber, dass der „Nutzung (von Stromspeichern) für die Glättung von Bezug (E-Mobilität) oder volatiler Erzeugung (Solaranlagen) im Verteilernetz … eine netzausbau-reduzierende Wirkungen zugetraut (wird).“

Erkannt werden in dem Bericht auch die – noch ungeklärten – Erfordernisse im Umgang mit (bislang überwiegend stationären) Speichern:

Da ist zum Einen die rechtliche Einordnung. So beobachtet die BNetzA, dass „in der Diskussion um die Weiterentwicklung der Energiemärkte … eine eigenständige Definition für Speicher gefordert (wird): diese seien keine Verbraucher, sondern eben „nur“ Speicher und der Strom (bzw. die Energie) werde nicht verbraucht, sondern nur zwischengespeichert; der eigentliche Verbrauch des Stroms erfolge erst nach der Ausspeicherung.“[14]

Auch in Bezug auf das Bilanzierungsverfahren für Speicher sieht der Bericht Klärungsbedarf: „Ein Übertrag von Strommengen aus einer Viertelstunde in die nächste ist (laut gültigem Regelwerk; der Autor) nicht möglich. Der Zweck der Stromspeicherung besteht demgegenüber gerade darin, Strommengen aus einer Viertelstunde in eine spätere zu „verschieben“. Im Blick auf die Bilanzierung stellt die Einspeicherung in der einen Viertelstunde einen Stromverbrauch dar; die Ausspeicherung in der späteren Viertelstunde stellt bilanziell eine Stromerzeugung dar.“[15]

Wem das zu kompliziert oder zu weit entfernt erscheint, mag sich vielleicht mal – regulierend oder auch wettbewerblich – mit einer anderen Ladeinfrastruktur, nämlich mit der Ladeinfrastruktur auf Stellplätzen für Wohnmobile befassen. Und hier beginnt mein Ausflug ins Absurde:

In Deutschland zugelassen sind aktuell circa 675.000 dieser begehrten Freizeitfahrzeuge.[16] Die verbrauchen pro Nutzungstag im Durchschnitt 5kWh Strom, der nicht aus Bordbatterie oder Eigenerzeugung bezogen wird[17]. Alleine bei nur 15 Stellplatznutzungstagen pro Jahr kommen so insgesamt auf alle Fahrzeuge mit diesem Verbrauchsverhalten hochgerechnet gut 50 GWh Strom zusammen.

Aber weder gibt es die Option der „nutzungsscharfen bilanziellen Energiemengenzuordnung“ noch den Zugang eines interessierten Betreibers zur Ladeinfrastruktur für Wohnmobile selbst.

Wettbewerb um die (Messung und auch die Belieferung der) Ladeinfrastruktur auf Stellplätzen[18] für Wohnmobile? Fehlanzeige! Dabei entspricht der Stromverbrauch je Stellplatz unter den oben erwähnten Nutzungsbedingungen ungefähr 75% der Strommenge von Single-Haushalten.[19]

Eichrechtskonformität der Messung für Stromverbräuche auf Stellplätzen für Wohnmobile? Überwiegend Fehlanzeige! In den meisten Fällen wird der Stromverbrauch pauschal abgerechnet oder über einen Münzautomaten freigeschaltet.

Ist das eine Regulierungslücke? Wohl nicht. Aber mein Beispiel möchte Anlass geben, mal wieder über das Regulierungsgeschehen in der Stromwirtschaft – hier im Speziellen mit Blick auf die Elektromobilität – nachzudenken; siehe oben.

Noch haben nämlich der Wettbewerb in der Stromwirtschaft und seine Regulierung nicht zu den „wettbewerbsfähigen Strom- und Gaspreisen bei(ge)tragen …, von denen alle Verbraucher profitieren werden.“[20] Beziffern wollte der für die Strommarktliberalisierung seinerzeit in den 1990er Jahren verantwortliche damalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexroth (FDP) die „erreichbaren Preissenkungen (damals; der Autor) nicht; Schätzungen (…) aus der Wirtschaft zwischen 20 und 30 Prozent“ erschienen ihm jedoch als „realistisch“.[21]

Dagegen lassen sich die seit 1998 massiv gestiegenen Prozesskosten beziffern. Und die werden durch jeden neuen Regulierungsschritt weiter steigen.

Siehe auch https://bmildebrath.wordpress.com/2020/06/30/wettbewerb-mit-der-brechstange-oder-das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-duerfen/ und https://bmildebrath.wordpress.com/2020/10/20/schon-wieder-tarifchaos/


[1] BKartA Sektoruntersuchung| Siehe https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2020/09_07_2020_Lades%C3%A4ulen.html (Download am 1.11.2021)und https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Ladesaeulen_Sachstandsbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Download am 1.11.2021)

[2] Kommentare zum Sachstandsbericht des BKartA | Siehe https://www.next-mobility.de/bundeskartellamt-fordert-mehr-wettbewerb-beim-ladestrom-fuer-e-autos-a-1064845/ (Download am 1.11.2021)

[3] Ladesäulencheck 2020 | Siehe https://www.lichtblick.de/presse/ladesaeulencheck-2020-strom-tanken-bleibt-ein-abenteuer/ (Download am 1.11.2021)

[4] BNetzA | BK6-20-160 | https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Beschlusskammern/1_GZ/BK6-GZ/2020/BK6-20-160/Bk6-20-160_beschluss_vom_21.12.2020.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Download am 1.11.2021)

[5] Siehe https://www.bdew.de/media/documents/2021-10-05_Umsetzungsfragen_Marktkommunikation_BK6-20-160_V1.3.pdf (Download am 1.11.2021)

[6] Siehe Fußnote 4

[7] Zugang zu Ladepunkten | Siehe https://www.hoech-blog.de/tag/kartellrecht/ (Download am 1.11.2021)

[8] Die Fähigkeit der Rückspeisung wird bisher von nur wenigen Fahrzeugherstellern angeboten. Jüngstes Beispiel ist der Sion („Das Auto, das sich selbst lädt.“) von Sono Motors GmbH, München.

[9] V2G-Prozesse, wie Volkswagen sie 2016 in dem Video „Ausblick ins Jahr 2021- E-Mobilität von VW im Stromnetz der Zukunft“ vorstellte. Aktuell noch unter https://alugha.com/videos/6a38094a-9e9d-11e7-9ab3-d375acf289ac?lang=deu im Internet verfügbar (Download am 1.11.2021)

[10] Allerdings kommt die BNetzA in ihrem Bericht über „Regelungen zu Stromspeichern im deutschen Strommarkt“ (siehe unten) zu der Einschätzung, dass aufgrund der „Abwesenheit des Flexibilitätsmangels … Stromspeicher in Mitteleuropa derzeit nur selten Erträge erwirtschaften, mit denen sie ihre Stromgestehungskosten einschließlich der üblichen Stromnebenkosten decken könnten. Die These, dass Stromspeicher im Stromgroßhandelsmarkt oder im Regelenergiemarkt „gebraucht“ würden, ist daher auf kurze und mittlere Sicht nicht begründbar.“

[11] Allgemeine Informationen zu V2G siehe https://www.plattform-zukunft-mobilitaet.de/wp-content/uploads/2020/10/201012_NPM_AG5_V2G_final.pdf und Pilotprojekte beispielsweise https://www.elektroauto-news.net/2021/v2g-pilotprojekt-von-bmw-startet-die-wichtigste-phase oder https://www.mobilityhouse.com/de_de/magazin/pressemeldungen/nissan-tennet-und-tmh-beenden-bedeutendes-v2g-pilotprojekt.html/ (Download jeweils am 1.11.2021)

[12] Marktprozesse für erzeugende Marktlokationen (Strom) – MPES

[13] BNetzA, Regelungen zu Stromspeichern im deutschen Strommarkt (4.3.2021) | Siehe https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Speicherpapier.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Download am 1.11.2021)

[14] Ebda. S. 7

[15] Ebda. S. 9 – Wenn die Ausspeicherung „bilanziell eine Stromerzeugung“ darstellt, ist möglicherweise und dann in steuerrechtlicher Hinsicht auch zu klären, ob der Ausspeichernde – wie der Betreiber einer Erzeugungsanlage – eine Umsatzsteueroption ziehen kann.

[16] Wohnmobile in DE 2021 | Siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152231/umfrage/anzahl-der-wohnmobile-in-deutschland/  (Download am 1.11.2021) – Hinzu kommen circa 700.000 Wohnanhänger (Caravans).

[17] Stromverbrauch im Wohnmobil | Kennzahl siehe https://eriba-touring-club.de/ETC-Forum/viewtopic.php?t=6948 (Download am 1.11.2021) sowie Ergebnisse einer nicht repräsentativen Befragung

[18] Es gibt circa 29.000 Stellplätze in DE | Siehe https://de.statista.com/themen/795/campingtourismus/ (Download am 1.11.2021)

[19] Circa 2.300 kWh/a Stromverbrauch im Single-Haushalt | Siehe https://www.co2online.de/energie-sparen/strom-sparen/strom-sparen-stromspartipps/stromverbrauch-im-haushalt/ (Download am 1.11.2021)

[20] Handelsblatt: Strom- und Gaskunden im Wettbewerb umworben, 28.04.1998, S. 5.

[21] Handelsblatt: Rexroth, Keine Schutzräume für Kommunen, 04.02.1998, S. 12.